Wolfgang Schäffner ist seit der Gründung von Slow Food Österreich ein integraler Bestandteil unseres Vorstandsteams. Seine beeindruckende Laufbahn begann vor über drei Jahrzehnten mit der Gründung des SMC Studien und Management Centers Saalfelden. Diese Initiative war durch eine zukunftsweisende Vision geleitet: Hochschulbildung sollte auch in ländlichen Regionen zugänglich sein. Sein Engagement geht jedoch weit darüber hinaus. Als Gründer von Slow Food Pinzgau hat Wolfgang 2009 den europaweit einzigartigen Masterlehrgang 'Gastrosophische Wissenschaften: Ernährung – Kultur – Gesellschaft' ins Leben gerufen. In unserer Team-Vorstellung gibt Wolfgang Einblicke in seinen Werdegang und erläutert, was ihn an unserer Bewegung fasziniert.
Mit der Gründung des SMC Studien und Management Centers Saalfelden (= Studienzentrum Saalfelden) vor 31 Jahren verfolgte ich eine Vision: Universitäres Wissen auch einer ländlichen Region zugänglich zu machen. „Wissen für alle“ war dann auch das Motto unserer öffentlichen Vorlesungsreihe „MyUni“ im Kunsthaus Nexus. Als Studienzentrum der FernUniversität in Hagen und in Kooperation mit zahlreichen anderen Universitäten und Fachhochschulen (Uni Salzburg, Uni Linz, FH Burgenland, Universität für Weiterbildung u.v.m.) ist es schließlich gelungen, in Saalfelden ein pulsierendes Universitätszentrum aufzubauen, das europaweit tätig ist.
Ich selbst bin in Salzburg aufgewachsen, maturierte am Akademischen Gymnasium, studierte an der Universität Salzburg Deutsche Philologie und Geschichte und war Lehrbeauftragter für Literatur- und Kulturwissenschaften, unter anderem an der Universität Linz und der FH Burgenland. Im SMC , einer gemeinnützigen GmbH, bin ich geschäftsführender Gesellschafter. Mit meiner Pensionierung im kommenden Jahr wird sich das SMC leider auflösen.
Von all den Lehrgängen, die ich (mit) entwickelt habe, sind mir vor allem zwei ans Herz gewachsen: Der Masterlehrgang „Angewandte Gemeinwohl-Ökonomie“ in Kooperation mit der FH Burgenland und vor allem der Masterlehrgang „Gastrosophische Wissenschaften. Ernährung – Kultur -Gesellschaft.“ In beiden Lehrgängen geht es um die Transformation unserer Gesellschaft: hin zu einer sozial-ökologischen Wirtschaft im einen und zu einem agro-ökologischen Ernährungssystem im anderen.
Entstanden ist die Idee zum Gastrosophie-Lehrgang in einer Kombination aus wissenschaftlichen, regionalen und privaten Perspektiven. Ich hatte damals schon Slow Food Pinzgau gegründet, war Vorstandsmitglied von Leader Saalachtal und lernte zu jener Zeit Univ.Prof.Dr. Lothar Kolmer kennen, der bereits an einem ähnlichen Projekt arbeitete. Zusammen mit einem Team aus Wissenschaft und Wirtschaft, unterstützt vom Land Salzburg und der Universität Salzburg, entwickelten wir ein interdisziplinäres Curriculum, das Ernährungsverhältnisse ganzheitlich denkt.
Mit Harald Lemke konnten wir auch jenen Philosophen, Gastrosophen und Kurator für unseren Lehrgang gewinnen, der den Begriff der Gastrosophie (s.u.) wieder in den wissenschaftlichen Diskurs einführte. Gemeinsam gründeten wir das Internationale Forum Gastrosophie (IFG)
Ein befreundeter Journalist war zu einer Pressereise nach Bra eingeladen und hat mir nach seiner Rückkehr von Slow Food vorgeschwärmt. Die erste Idee war, in meinem SMC Studien und Management Center eine Genussakademie aufzubauen. Ich reichte ein Leader-Projekt ein, in dem wir basierend auf einer von uns durchgeführten Studie ein Konzept zu einer
“Akademie für Genuss, Ernährung und zur Erhaltung bodenständiger Produkte“ entwickelten. In diesem Rahmen gründeten wir auch Slow Food Pinzgau. Entstanden ist daraus letztlich der Masterlehrgang „Gastrosophische Wissenschaften. Ernährung – Kultur – Gesellschaft“ (seit 2009) in Kooperation mit der Universität Salzburg.
Von meiner Ausbildung her bin ich Kulturwissenschaftler. Literatur und Kunst, Geschichte und Philosophie sind meine primären Leidenschaften. Gesellschaftliche Verhältnisse und Entwicklungen haben mich schon immer sehr interessiert. Ernährung ist dabei das, was Marcel Mauss ein „Fait social total“ genannt hat, ein „soziales Totalphänomen“, in dem sowohl religiöse, rechtliche, moralische, politische, ökonomische als auch ästhetische Dimensionen zusammenkommen. In unserem Lehrgang nennen wir diese Gesamtheit der Ernährungsverhältnisse „Gastrosophie“ (ein Neologismus aus altgriechisch σóφos (sophos=kundig, gebildet weise) und γαστήρ (gaster=Magen) – die Weisheit des Essens.
Mit Slow Food ist eine Bewegung entstanden, die diese Komplexität des „Essens“ sowohl reflektiert als auch lebt. „Iss, was du retten willst“, bringt das schön zum Ausdruck. Der Philosoph Harald Lemke hat dafür die treffende Formulierung „politischer Hedonismus“ geprägt. Indem ich das Gute esse, indem ich ökologisch saubere und fair produzierte Lebensmittel genieße, handle ich auch ethisch und politisch. Wer gesellschaftlich etwas ändern will, kann das jederzeit sofort tun und dabei noch genießen, feiern, die Natur erleben.
Gut. „Anfang und Wurzel alles Guten ist die Freude des Magens; selbst Weisheit und alles, was noch über sie hinausgeht, steht in Beziehung zu ihr." 1 – Dieser Satz des griechischen Philosophen Epikur (341 – 270 v. Chr.) steht am Anfang gastrosophischen Denkens und definiert das Gute ganzheitlich, d. h. auch in Bezug auf unseren Körper, anders als in der vorherrschenden platonisch-christlichen Tradition, die Geist und Seele dem Körper dualistisch entgegensetzte. Ziel dieses Philosophierens ist es, herauszufinden, was ein gutes Leben ist. In diesem Kontext bedeutet gut also ein geglücktes Leben.
Unserer „entzauberten“ (Max Weber), auf Gewinn-Maximierung ausgerichteten Fast Food-Gesellschaft eine lebbare Utopie entgegenzusetzen, war einer der Gründungsgedanken von Slow Food. Und „Anfang und Wurzel alles Guten ist die Freude des Magens“.
Was gibt es Schöneres als einen Markt mit vielfältigen saisonalen, regionalen und frisch geernteten Produkten?
Fair. Viele soziale Ungerechtigkeiten beruhen auf unserem (industriellen) Ernährungssystem. Das beginnt bei den Nutzungsrechten auf Boden, der Ausbeutung von Arbeitskräften und geht bis zu Kinderarbeit und Land Grabbing. Bodenerosion, Versteppung und Migrationsströme sind Folgen davon. Eine Ethik des Essens setzt sich daher für den Zugang zu gutem Essen für alle ein, für faire Arbeitsbedingungen, aber auch für leistbare, nahrhafte und gute Lebensmittel. War bei Slow Food anfangs das Recht auf Geschmack und Genuss im Zentrum, so liegt der Fokus jetzt stärker auf Fairness und gesellschaftlicher Gerechtigkeit. Dass der neue Präsident von Slow Food International, Edward Mukiibi, ein Agrarökonom aus Uganda ist, ist aus meiner Sicht ein bewusst gesetztes Signal dafür.
Sauber. Ernährung ist eine der Hauptursachen des Klimawandels. Ich kann daher nur dem zustimmen, wie es Slow Food International formuliert: „Nachhaltige Lebensmittelsysteme tragen zur Gesundheit des Planeten bei, indem sie die planetaren Grenzen respektieren, d.h. die Umwelt, das Klima und die biologische und kulturelle Vielfalt, die alle Grundvoraussetzungen sind, um Lebensmittel produzieren zu können.“
Insgesamt glaube ich, dass es immer noch eine unserer Hauptaufgaben ist, den Zusammenhang dieser drei zentralen Begriffe in ihrer gesellschaftlichen Bedeutung bewusst zu machen. Essen ist immer auch ein politischer Akt.
Im Bundesland Salzburg gibt es insgesamt 50,1% Biobauern, wobei der Anteil der Bioflächen sogar bei 59,7 liegt. Einer der Pioniere ist seit über 50 Jahren unser Stechaubauer (https://www.stechaubauer.at) in Saalfelden. Er ist der größte Gemüsebauer im Pinzgau mit ab Hofverkauf und einer Verkaufsstelle in der Stadt. In Kooperation mit der heimischen Gastronomie, unter anderem auch mit einigen Haubenköche (Riederalm, Forsthofgut …), beweist er, dass auch für den Tourismus regionale Bio-Produkte in ausreichenden Mengen produziert werden können.
Mit Leidenschaft widmen sich die Haitzmanns wieder Alten Sorten und Raritäten: Fieselbohnen (Saubohnen, Hosbohnen) oder Physalis, Artischocken, Chilis in allen Farben, Formen und Schärfen und Tomaten, Grünkohl und noch vieles mehr.
Ebenfalls im Gerstboden zwischen Saalfelden und Leogang liegt der Zieferhof. Seit 2013 wird dort wieder Getreide angebaut. Milchprodukte aus der eigenen Molkerei werden unter der Marke MEI MUICH verbreitet. Im Hofladen, dem Gerstbodner Troadladl, gibt es Dinkel-Vollkornbrot, Nudeln aus eigenem Dinkel und Dinkelmehl, Joghurts und neuerdings auch selbstgemachten Mozzarella. Ergänzt wird das Angebot unter anderem durch selbstgemachte Schnäpse, Liköre, Säfte, Marmeladen, Chutneys und Pesto.
Was den Zieferhof darüber hinaus auszeichnet ist eine Kooperation mit dem Nachbarbetrieb, dem Ottingbauer, die „Rinderzuchtgemeinschaft Leogang.“ (RZG). Gemeinsam bewirtschaften sie 30 ha Fläche nach biologischen Richtlinien. Drei Viertel der erzeugten Milch von 30 Kühen wird an die Molkerei geliefert, ein Viertel der Menge über Mei Muich direkt vermarktet. Sozial bedeutet das für die beiden Familien, dass der gemeinsame Stall abwechselnd betreut wird. Freie Wochenende erhöhen die Lebensqualität!
Ein weiterer innovativer Betrieb ist der Schafferbauer in St. Martin bei Lofer. Für mich sind seine Erdäpfel die besten. „Agatha“, „Agria“, „Birgit“, „Ditta“ und „Husar“ – je nach Saison und Anbau. Das Besondere an dieser Landwirtschaft ist jedoch der Anbau von Ur-Getreide, u.a. des Laufener Landweizens wie von Pseudogetreide, zum Beispiel Buchweizen und Hafer, aus denen auch Brot gebacken wird. Wer eine Pinzgauer Spezialität verkosten möchte, sollte sich den Pinzgauer Bio-Schotten vom Hofladen nicht entgehen lassen.
Viele Landwirtschaften wären noch vorzustellen! Ihr werdet sie bald auf unserer Website slow-food.at finden.
Generell bin ich ein Suppenfan. Eine Neuentdeckung für mich ist eine „Cremige Petersilienwurzelsuppe“, die ich Paul Ivić nachgekocht habe.
Direkt in Saalfelden ist die Auswahl nicht sehr groß. Stechaubauer und Zieferhof (Leogang) sind meine Lieblingshofläden. Auch in unserem Bauernladen und beim wöchentlichen Bauernmarkt im Zentrum gibt es einige gute Produkte, die aber nicht immer bio sind. Etwas weiter weg, aber unbedingt zu empfehlen: Oafoch Guat in Weißbach bei St. Martin und der Hofladen vom Schafferbauern.
Meine Lieblingslokale sind der Brandlwirt mit Rosmarie als fantastischer Köchin regionaler Gerichte (Kasnocken, Saalfeldner Schnitzel mit Rotkraut und Ziegenkäse gefüllt) und das Kunsthaus Nexus, in dem wir auch jährlich unsere Slow Food Tage veranstalten.
Empfehlen möchte ich eines der Bücher von Harald Lemke (z.B.: Ethik des Essens. Eine Einführung in die Gastrosophie; Szenarien der Ernährungswende. Gastrosophische Essays zur Transformation unserer Esskultur), eine der Kulturgeschichten von Peter Peter (z.B.: Kulturgeschichte der italienischen Küche) und gerade erschienen „Auf Vorrat. Natürlich einkochen, fermentieren und haltbar machen“ von Margit Brauneder und Karin Buchart sowie das Kochbuch von Paul Ivić: Vegetarische Winterküche. Vegetarisch neu gedacht: vollwertig, saisonal, nachhaltig.
Deine Unterstützung macht den Unterschied: Mit deiner Spende bewahrst du seltene Obst- und Gemüsesorten und bedrohte Tierrassen, stärkst kleine Produzent:innen und förderst ein gutes, sauberes und faires Ernährungssystem für alle. Gemeinsam setzen wir uns für die Zukunft unserer Lebensmittel ein – regional und weltweit.